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VII.1. Frauen – von der Coronakrise besonders hart getroffen

Krisen verstärken alle existierenden Ungleichheiten, das gilt besonders in unserer profitorientierten Gesellschaft und es trifft auch auf die durch Covid-19 ausgelöste Krise zu. Frauen und Mädchen zählen zu benachteiligten Gruppen. Es sind mehrheitlich Frauen, die in als systemrelevant anerkannten Berufen arbeiten. Deutlich über 70 Prozent der Beschäftigten im Lebensmitteleinzelhandel, bei Sozialversicherungen und in Krankenhäusern sind weiblich. In Kita-Einrichtungen und Vorschulen sind es sogar über 90 Prozent. Zudem werden zwei Drittel aller Minijobs in Deutschland von Frauen erledigt. Und auch die Situation hunderttausender oft inoffiziell arbeitender Hausangestellten, Babysitterinnen, Kranken- und Altenpflegerinnen in Privathaushalten hat sich durch die Coronakrise verschärft. Zudem sind Krisenzeiten für Frauen besonders gefährlich, weil sie unter diesen Bedingungen noch schlechter vor häuslicher und sexualisierter Gewalt geschützt sind.

In NRW sind über 80 Prozent des Personals in Pflegeberufen Frauen. Außerdem leisten Frauen im Schnitt 52 Prozent mehr unbezahlte Sorgearbeit als Männer. Da Frauen sich vermehrt um Kranke kümmern, sei es beruflich oder unbezahlt innerhalb der Familie, sind sie dem Virus stärker ausgesetzt und tragen ein hohes Infektionsrisiko.

Die Pflege von Familienmitgliedern, die Kinderbetreuung, Homeschooling und Haushaltstätigkeiten lasten überwiegend auf den Schultern von Frauen. Durch die Coronapandemie wird die klassische Rollenverteilung weiter zementiert.

Während bei Männern rund 80 Prozent aller Beschäftigten einer sozialversicherungspflichtigen Vollzeit-Beschäftigung nachgehen, sind es bei den Frauen nur 43 Prozent. Nur etwa jeder zehnte Mann arbeitet in Teilzeit, aber fast 40 Prozent der Frauen. Ohne Sozialversicherung, also in Minijobs, sind 17,5 Prozent aller Frauen beschäftigt, während nur 10 Prozent der Männer ausschließlich geringfügig beschäftigt arbeiten. Die ersten Entlassungswellen im Zuge der Covid-19-Pandemie betrafen vor allem Sektoren, in denen Frauen überrepräsentiert sind wie Einzelhandel, Gastgewerbe und Tourismus. Im April 2020 waren zunächst Männer von Entlassungen etwas stärker betroffen als Frauen, längerfristig wurden aber ca. 29 Prozent mehr Frauen als Männer entlassen. Auch in NRW arbeiten vor allem Frauen in systemrelevanten und zugleich unterbezahlten Berufen. In der Krise sind besonders sie von Einkommenseinbußen betroffen, die sie durch Freistellung, Kurzarbeit und Erwerbslosigkeit erfahren. Fast jede dritte abhängig beschäftigte Frau in NRW arbeitet zu einem Niedriglohn – also unter 11,21 Euro die Stunde. Für sie führt Kurzarbeit häufig ins Jobcenter. Besonders betroffen von Entlassungen waren Frauen, die in Minijobs arbeiteten, sowie Menschen mit Migrationshintergrund, die viermal häufiger von Entlassung betroffen waren. In NRW verlor fast jede zehnte Minijobberin ihre Stelle. Der Rückgang männlicher Minijobber betrug hingegen nur 7,0 Prozent.

Existentielle Sorgen, Quarantäne und eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit führen zu einem deutlichen Anstieg von häuslicher Gewalt. Die Leidtragenden sind in den meisten Fällen Frauen. Da sie das Haus zum Teil nur eingeschränkt verlassen können, sind sie dem gewalttätigen Familienmitglied außerdem stärker ausgeliefert. In Nordrhein-Westfalen wurden im Jahr 2020 insgesamt 29.155 Fälle häuslicher Gewalt erfasst. Dies entspricht einem Anstieg von 7,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. 22.905 Opfer (70 Prozent) waren Frauen. Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Opferzahl um 7,9 Prozent. 76,7 Prozent der Tatverdächtigen waren männlich.

Unser Ziel angesichts der Problemlage ist nicht weniger als eine andere Aufteilung der vorhandenen (Lebens-)Zeit. Eine Verteilung, die es allen möglich macht, Lohnarbeit zu leisten, sich selber weiterzuentwickeln, mit Freundeskreis, Familie oder den Nachbar:innen Zeit zu verbringen und sich dann noch in die Politik einzumischen. Ebenso ließe sich der Wunsch vieler, insbesondere junger Männer, mehr Zeit für ihre Familien sowie gesellschaftliche und soziale Beziehungen zu haben, erfüllen. In unserer profitorientierten Gesellschaft tritt dieser Fall immer häufiger ein: Gesundheit, Kinder, ältere Menschen, soziale Berufe, Mutterschaft – das sind die Bereiche, die dem Rotstift als Erstes zum Opfer fallen. Ein Blick in Kitas, Schulen, Stadtparks, Altenheime, Wohnviertel oder auf Sportplätze reicht als Beleg. Überall dort, wo es in erster Linie darum geht, dass Menschen gut und in Sicherheit leben, wird deutlich, dass heute Angebote meist nur von denen genutzt werden können, die es sich auch leisten können.

Die Arbeit in diesen Bereichen, egal ob sie entlohnt wird oder nicht, ist im Kapitalismus weniger wert, sie wird gerne ins „Private“ geschoben, kann ohne Ausbildung erledigt werden oder wird schlecht bezahlt. Erledigt wird sie zum größten Teil von Frauen – unbezahlt, im Schatten und nicht selten mit Armut einhergehend. Nur eine Politik, deren Grundlage das Leben ist, ist eine Politik für alle Menschen. Nicht weniger fordert DIE LINKE.

VII.1.1. Politik für Frauen geht alle an

Wir wollen die Unterordnung der Politik unter die Profitlogik nicht länger hinnehmen und setzen uns für eine Politik ein, die Arbeitszeit gerechter verteilt, soziale Arbeiten wertschätzt und Arbeit von Frauen besser bezahlt. Das Leben und alles, was es lebenswert macht, rücken in den Mittelpunkt des politischen Planens und Handelns.

Als starke Stimme für Frauen auf allen Ebenen bieten sich die Gleichstellungsbeauftragten an. Wir wollen ihren Auftrag entsprechend erweitern und die Befugnisse stärken.

Was tun?

  • Das Landesgleichstellungsgesetz novellieren

 

  • Befugnisse der Gleichstellungsbeauftragten ausweiten (z. B. Beteiligung an der Fortentwicklung vorhandener Gleichstellungsprogramme)

VII.1.2. Auf dem Weg für ein gutes Leben für alle

Heute leben Frauen wesentlich häufiger in Armut als Männer. Viele von ihnen haben Angehörige gepflegt, sich um die Familienarbeit gekümmert und wurden für diese gesellschaftlich notwendige Arbeit nicht bezahlt. Gleichzeitig bekommen sie für gleichwertige Arbeit weniger Geld und sind in entscheidenden Funktionen in Wirtschaft, Politik oder Gesellschaft weniger vertreten.

VII:1.3. Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit

Der Lohnabstand zwischen den Geschlechtern betrug in NRW im Jahr 2020 rund 18 Prozent. Zumeist sind es Frauen, die durch Familienarbeit, durch Teilzeit- und Minijobs später nur eine Armutsrente erhalten und im Alter auf zusätzliche Leistungen angewiesen sind. Und für Frauen in Erwerbsarbeit gilt: Gleichwertige Tätigkeiten werden extrem unterschiedlich bezahlt. Die sogenannten sozialen Berufe rund um Erziehung, Pflege und Gesundheit werden im Schnitt deutlich geringer entlohnt als technische Berufe. Gleichzeitig sind Frauen in Leitungspositionen weiter unterrepräsentiert. Wir treten dafür ein, dass die Lohnlücke geschlossen wird.

Was tun?

  • Für mindestens 50 Prozent Frauen in Leitungsfunktionen und Aufsichtsorganen sorgen

 

  • Soziale und pflegerische sowie Erziehungsberufe aufwerten

VII.1.4. Alleinerziehend, weiblich – ein gutes Leben?

90 Prozent der Alleinerziehenden in NRW sind Frauen, und 43 Prozent dieser Frauen leben von Hartz IV, Tendenz steigend. Der Wiedereinstieg in den Beruf nach Erziehungspausen gestaltet sich nach wie vor schwierig. Das höchste Risiko, in Armut aufzuwachsen und dauerhaft in Armut leben zu müssen, besteht für Kinder aus Alleinerziehenden-Haushalten.

Die Hälfte der Kinder von Alleinerziehenden erhält keinen Unterhalt, ein Viertel bekommt weniger als ihm zusteht. Hinzu kommt eine im Alltag mangelnde gesellschaftliche Wahrnehmung der enormen Belastung von Alleinerziehenden, was zu sozialer Isolation führen kann. Wir wollen, dass sich die Lage für Alleinerziehende schnell verbessert.

Was tun?

  • Wiedereinstiegsprogramme in den Beruf für Alleinerziehende anbieten

 

  • Teilzeitausbildungen mit Kinderbetreuung ermöglichen

 

  • Verlässliche Finanzierung von Elternzentren sicherstellen

 

  • Selbsthilfenetzwerke Alleinerziehender stärker unterstützen

VII.15. Sexismus die rote Karte zeigen

Voraussetzung für eine gleichberechtigte Gesellschaft ist, die alltäglichen sexistischen Diskriminierungen, Erwartungshaltungen, Zuschreibungen, genormten Bilder und Vorbilder abzuschaffen.

Geschlechtsspezifische Rollenverteilungen erlernen wir schon in der Kindheit durch Erziehung, Sozialisierung und Medien. Frauen und Männer tragen ein über Generationen hinweg erlerntes und anerzogenes Bild der Frau in sich. Dem Kapitalismus kommt es zugute, dass es immer noch die klassischen Muster in der Rollenverteilung gibt. Praktisch heißt das auch: Frauen müssen selbst entscheiden wie sie sich kleiden, wir lehnen Diskriminierung aufgrund der Bekleidung ab, egal ob Frauen nun Kopftuch oder Minirock tragen

Ein gutes Leben für alle bedeutet auch, individuelle Lebens- und Liebesmuster leben zu können. In der Realität werden wir in Bildung, Werbung, Berufsalltag oder im öffentlichen Raum mit traditionellen Rollenbildern konfrontiert, die unser gesellschaftliches Zusammensein maßgeblich beeinflussen. Wir wollen die einschränkende Dominanz dieser Rollenbilder aufbrechen und damit mehr Freiraum für individuelle Entfaltung schaffen. Zu berücksichtigen ist zudem, dass Frauen sehr viel häufiger Opfer von Sexismus und Gewalt werden.

Was tun?

  • Alte Rollenbilder in Bildung und Erziehung aufbrechen

 

  • Lehr- und Lernmaterialien entsprechend überarbeiten

 

  • Lehrkräfte und Erzieher:innen entsprechend ausbilden

 

  • Sexistische Werbung auf öffentlichen Flächen unterbinden

 

  • Alle sexuellen Identitäten gleichstellen

VII.1.6. Ein gutes Leben bedeutet auch sexuelle Selbstbestimmung

Die sexuelle Selbstbestimmung ist ein wesentlicher Grundsatz eines linken Feminismus und darf weder eine Frage des Einkommens noch der Herkunft sein. Konkret bedeutet dies für Frauen, selbst über ihren Körper und ihr Leben zu entscheiden und nicht den unterschiedlichen Erwartungshaltungen einer patriarchalischen Gesellschaft entsprechen zu müssen. Hierzu gehört eine echte Wahlfreiheit über Verhütung, unabhängig vom finanziellen Status, der Kampf gegen die sexuelle Herabwürdigung des weiblichen Körpers im Alltag oder auch die Wahl über Geburtsformen und Geburtsort.

VII.1.7. Hebammen absichern

Die Sicherung des Berufs der Hebammen und die dauerhafte Gewährleistung dieser für Eltern unverzichtbaren Unterstützung sind hierbei zwingend erforderlich. Es ist nicht hinnehmbar, dass seit Jahren immer mehr Hebammen aufgrund der Haftpflichtproblematik aus der freiberuflichen Geburtshilfe aussteigen oder gar den Beruf ganz aufgeben. Bereits jetzt findet nicht mehr jede Frau eine Hebamme bei der Schwangerenvorsorge und der Wochenbettbetreuung oder für eine außerklinische Geburt. Insbesondere im ländlichen Raum in NRW mussten bereits Kreißsäle schließen, weil keine Beleghebammen mehr zu finden sind oder aus Gründen der Wirtschaftlichkeit. Seit 2015 sind 19 Kreißsäle in NRW dicht gemacht worden, 3 sind von Schließung bedroht und 8 sind vorübergehend geschlossen.

Was tun?

  • Geburtshilfe für die Kliniken finanziell attraktiv machen

 

  • Verhütungsmittel für Geringverdienerinnen kostenlos abgeben

 

  • Weltanschaulich neutrale Schwangerenkonfliktberatung flächendeckend sichern, keine Androhung von Strafen

 

  • Freie Hebammen finanziell absichern

 

  • Wahlfreiheit des Geburtsortes sicherstellen; Hausgeburten dürfen Klinikgeburten nicht nachgestellt werden

VII.1.8. Schwangerschaftsabbrüche als Teil der medizinischen Grundversorgung

Noch immer sind in Deutschland Abtreibungen eine unter bestimmten Bedingungen straffreie Straftat und die Verbreitung von Informationen über Schwangerschaftsabbrüche ist für ärztliches Personal mit Geld- und Haftstrafen belegt. DIE LINKE NRW steht für die Schaffung eines Rechtes auf Abtreibung und gegen einen Geburtenzwang ein. Auf Bundesebene fordern wir die Abschaffung von §218 StGB. Wir wollen eine flächendeckende Versorgung mit Ärzt:innen, die Abbrüche durchführen, sicherstellen, dass diese kostenlos angeboten werden, und dass auf Grundlage eines Gesetzes zur Sicherung reproduktiver Rechte Aufklärung für Ratsuchende (online) verfügbar ist.

Was tun?

  • Wir wollen die Möglichkeit zum Abbruch von Schwangerschaften mit einer flächendeckenden Versorgung sicherstellen.

 

  • Weltanschaulich neutrale Schwangerenkonfliktberatung flächendeckend sichern, keine Androhung von Strafen.

 

  • Auch der Weg zur Schwangerschaftskonfliktberatung muss sicher sein und darf nicht von Abtreibungsgegner:innen belagert werden.

 

  • Statt Kriminalisierung muss es ein Recht auf Abtreibung und somit ein Recht auf sexuelle Selbstbestimmung geben.

 

  • Schwangerschaftsabbrüche müssen in der Grundausbildung von Mediziner:innen gelehrt werden.

VII.1.9. Gewaltfrei leben können

Gewalt gegen Frauen findet zumeist im engen persönlichen Kreis statt, unbeobachtet von der Gesellschaft. Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist jedoch keine Privatsache, sondern Ergebnis der gesellschaftlichen Macht- und Ressourcenverteilung. Politik muss Gewalt gegen Frauen bekämpfen und die Unterstützung der Opfer garantieren. Linker Feminismus ist antirassistisch, wir lehnen jede Form von Ungleichbehandlung von Tätern sexueller Gewalt ab. Frauen mit Migrationshintergrund oder sichtbarer nichtchristlicher religiöser Zugehörigkeit werden in der medialen Betrachtung als Opfer von Gewalt oft ignoriert, dies gilt es zu ändern, denn Migrantinnen sind vor allem Opfer von Gewalt und Diskriminierung und nicht Täterinnen.

Die Istanbul-Konvention des Europarats (Übereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt) wurde 2017 von der Bundesrepublik Deutschland ratifiziert und ist seit Februar 2018 in Kraft. Sie verpflichtet Bund, Länder und Kommunen zu einer koordinierten Gesamtstrategie für die wirksame Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen.

Die Konvention empfiehlt einen Schutzplatz pro 10.000 Einwohner:innen. In NRW fehlen demnach 1.170 Plätze. In unserem Land meldeten neun der 70 Frauenhäuser, dass sie von November 2020 bis Ende Januar 2021 an keinem einzigen Tag neue Frauen und Kinder aufnehmen konnten. Die übrigen 61 Frauenhäuser berichteten, dass sie an durchschnittlich etwa sechs Tagen pro Woche voll belegt waren.

Was tun?

  • Die Istanbul-Konvention in NRW vollständig umsetzen

 

  • Konzepte zur Gewaltprävention gegen Frauen fördern

 

  • Beratungsstellen und Frauen-Notrufe sicher finanzieren

 

  • Den Aufbau von Nothilfestellen (Clearingstellen) unterstützen und finanzieren

 

  • Die Online-Beratung für Gewaltopfer ausbauen

 

  • Frauen- und Mädchenhäuser flächendeckend finanziell absichern

 

  • Schulung der Polizei im Umgang mit Opfern sexueller Gewalt

 

  • Mindestens eine Polizistin einsetzen bei Notrufen von Frauen

 

  • Die Kosten für die anonyme Spurensicherung nach einem sexuellen Übergriff übernimmt das Land.

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